Haarscharf & Zabbeduuster

Krimigeschichten aus dem Land, wo Blut und Äppelwoi fließen

Waschen, schneiden, (um)legen.

In einem Frankfurter Friseursalon entgeht die Goldsteiner Rosenkönigin nur haarscharf einem Mordanschlag.
Vögelfreunde aus Lorsbach finden eine Rothaarige tot im Gebüsch.
Leichen im Keller in Bad Homburg, Hofheim, Schwalbach und Rheinhessen.

Dabei geht es eigentlich immer nur um Liebe. Oder das, was davon übrig geblieben ist …

Die spannenden Krimigeschichten der mörderischen Damen aus dem Äppelwoi-Land sind mit schwarzem Humor gewürzt und haben viel Lokalkolorit.

ISBN 978-3-9813746-8-8 200 Seiten z.Zt. nur gebraucht erhältlich ab 3,70 €

 

„Mal bittersüß, mal tiefschwarzhumorig, mal eine Persiflage, aber immer extrem weiblich.
Die mörderischen Damen des Vordertaunus haben zugeschlagen …“
Stephan Schwamml / Eschborner Zeitung

„Mord, Totschlag und Nervenkitzel: Sieben schwarz gekleidete Mord-Schwestern ziehen eine blutige Spur durch den Taunus – ganz literarisch.“
Heike Lattka / Frankfurter Allgemeine Zeitung

Hinweis:
In ‚Haarscharf & Zabbeduuster’ findest du die Kurzgeschichten ‚Zabbeduuster’ und ‚Diamonds’ – sie wurden von mir auf Charly Unkelbach umgeschrieben und tauchen in abgeänderter Form auch im Buch ‚Unkelbach’ auf.

Das Buch ist z.Zt. leider nur ‘gebraucht’ über Amazon erhältlich.

Leseprobe aus Haarscharf & Zabbeduuster:

Mein persönlicher Favorit unter den Kurzkrimis ist ‚Nelly to go’ von Tanja Konopka. Die Verkettung sehr, sehr unglücklicher Umstände bringen hier sogar den Weihnachtsmann über die Grenzen der Legalität. Deshalb hier die Leseprobe aus dieser Geschichte:

NELLY TO GO
von Tanja Konopka

Leonardo Santalucia drückte die Zigarette im Aschenbecher vor seinem Lokal aus und beförderte den Stummel mit einem eleganten Looping über das Trottoir auf den weißen Teppich, der sich vor einigen Minuten auf der Straße gebildet hatte. Wenige Autos waren unterwegs, ungewöhnlich für einen Tag im allgemeinen Weihnachtstrubel. Das Thermometer zeigte 2 Grad Minus. Die Menschen waren nicht auf weiße Weihnacht eingestellt und hofften, dass das Wetter noch einmal umschwenken würde. Einkäufe im Winterchaos, mit Rutschpartien und Parkplätzen, auf denen sich die Schneemassen türmten, brauchte kein Mensch.

Leonardo fröstelte und beendete seine Zigarettenpause. Beim Öffnen der Eingangstür drang aus dem hinteren Teil seiner Räumlichkeiten „Last Christmas, I gave you my heart“ an sein Ohr, produziert von angeheiterten, nicht mehr tonfesten Frauenstimmen. Er schmunzelte.
Zufrieden mit sich und der Welt ging er hinter die Theke, holte einen Cognacschwenker aus dem Regal, griff nach seinem Lieblingsgrappa und goss das Glas zu einem guten Drittel voll. Seit 16 Jahren besaß er das „La Pergola“, ein kleines gemütliches Lokal, das den typisch südländischen Flair vermittelte, ohne aufdringlich oder klischeehaft zu wirken. Es lag nicht direkt im Zentrum Bad Homburgs, aber an einer der Hauptverkehrsstraßen, die zu den Auffahrten der A661 und nach Oberursel führten. Unter seiner Kundschaft galt das „La Pergola“ als Geheimtipp, und diese Wertung ließ er sich gut bezahlen; Geld gab es in Bad Homburg genug.

Eigentlich hatte er heute geschlossen. Dienstag war sein Ruhetag. Doch die Damen des Kindergartens hatten ihn so inbrünstig gebeten, für heute Mittag den hinteren Teil seines Lokals für ein Weihnachtsessen mieten zu dürften, dass er ihnen diese Bitte nicht hatte abschlagen können.
„Leo, Süßer, bringst du uns noch eine Runde Ramazzotti? Sei so gut“, rief ihm eine pausbäckige Mittfünfzigerin aus dem Nebenraum zu, in dem die Weihnachtsfeier des nahe gelegenen katholischen Kindergartens gerade ihren Höhepunkt erreichte.
Leonardo setzte sein „Alles-ist-möglich-Lächeln“ auf.
„Certo, Bellissima“, antwortete er beflissen, „bringe ich den Damen sofort.“ Er griff nach dem Tablett und zählte weitere vierzehn Schnapsgläschen ab. – Wenn die so weiter soffen, musste er heute noch spülen, weil er keine Gläser mehr hatte.

Im Nebenraum zerbrach gerade unter lauten Schreckensbekundungen ein Glas. Routiniert steckte er sich einen Spüllappen in seine Schürze und legte sich ein Trockentuch über die Schulter. Es wäre die erste dieser Veranstaltungen, bei der nichts zu Bruch ging. Solange es nur bei ein paar Gläsern blieb, gab es keinen Grund zur Sorge.
Einmal war ein Gast bei einer geschätzten 2-Promille-Polonäse in das große straßenseitige Fenster gekracht und hatte nicht nur die Scheibe zum Bersten gebracht, sondern dabei auch noch die Brustprothese seiner Vortänzerin in den Händen gehalten. Dem Mann waren, von ein paar harmlosen Schnittwunden abgesehen, größere Verletzungen erspart geblieben. Aber die Frau, die vor ihm in der Schlange noch wenige Sekunden zuvor Mariah Carey und Madonna in einer Person gewesen war, hatte sich in ein furienartiges Wesen verwandelt, das niemand im Raum zu bändigen vermochte. Stühle waren umgeworfen worden, einer seiner teuren Kronleuchter war von der Decke gefallen, der Himmel wusste, wie das .geschehen konnte, und zur Krönung hatte jemand eine aufgeschüttelte Sektflasche entkorkt und den Inhalt quer durch den Raum versprüht.
Das Video, das von einem der Anwesenden ins Netz gestellt und der Reißer auf YouTube gewesen war, hatte bei ihm für schlaflose Nächte gesorgt. Leonardo hatte um den guten Ruf seines Lokals gebangt, bis ihm klar wurde, dass er seit dem Vorfall etliche Neukunden, auch aus Frankfurt und Offenbach, bewirten durfte. Sein Umsatz war seit dem bedauerlichen Vorfall rasant angestiegen. Die arme Frau, der das Unglück passiert war, zählte von da an allerdings nicht mehr zu seinen Gästen.

Nun, die Kindergartendamen würden sich doch wohl ein wenig gesitteter benehmen, so hoffte er jedenfalls. Am Anfang der Veranstaltung hatten sie noch einen männlichen Kollegen dabei gehabt, Bastian. Bastian war seit sieben Wochen als Praktikant bei den Kindergarten-Ladys tätig, und wusste bis dato nicht, ob er Friseur, Tierpfleger oder Kindergärtner werden wolle, hatte er ihm anvertraut. Eine der großen Stärken von Leonardo war, dass er zuhören konnte. Und so blickte er mitfühlend und nickte Bastian, der immer wieder zu ihm nach vorne an den Tresen flüchtete, aufmunternd zu. Nur eine Stunde dauerte es, bis die Damen den jungen Kollegen so abgefüllt hatten, dass Leonardo ihm ein Taxi bestellen musste. Zwei der Femme fatale schleppten ihn zum Wagen.

Ja, so waren sie, die Frauen! Einmal in der Überzahl, war es vorbei mit moralischen Bedenken und dem Verantwortungsgefühl gegenüber beruflich Untergebener. Wenn dann noch, so wie heute, das Motto des Tages lautete: Vernichtet alles, was nur im Entferntesten nach Alkohol schmeckt, dann musste man sich in Acht nehmen.

***

„Ich werde dich vermissen, Leo.“ Nelly saß traurig vor seinem Tresen, hatte ihren Kopf unschön auf ihre Hände abgestützt und ihren großen Busen auf seiner Theke abgelegt.
Er schätzte, sie war zu betrunken, um zu erkennen, wie unvorteilhaft das aussah. Vielleicht war es ihr auch einfach nur egal. Leonardo hätte gerne eine ihrer Hände in die seine genommen – so nah war er ihr noch nie gewesen. Gerade bei dieser Frau, die ihm gegenüber immer auf Distanz geblieben war, ja, manchmal schon ein wenig unterkühlt wirkte, hatte die Annäherung einen besonders großen Reiz. Hey, er war Sizilianer!

Ganz sacht strich er mit dem Zeigefinger über die Innenseite ihres Unterarms, wiederholte den Vorgang, als ein immerhin mögliches Abstandnehmen ausblieb. Sein Fingernagel war nur einen Hauch weit von ihrem Nippel entfernt, der sich auf dem blankpolierten Kirschbaumholz der Anrichte auszuruhen schien. Leonardo zwang sich, keine tollkühnen Aktionen zu starten, die er später vielleicht bereuen musste. Die Situation erregte ihn.

„Cara mia“, hauchte er. Das ausgerechnet zu dieser Frau sagen zu dürfen, hätte er sich bis heute Mittag noch nicht einmal im Traum vorstellen können. Noch schnell ein DU hinterherschieben, bevor ihre Stimmung sie wieder zum SIE übergehen ließ!
„Willst du mir nicht erzählen, warum du so unglücklich bist, kleine Nelly? Und warum hast du gesagt, dass ich dir fehlen werde? Ich gehe doch gar nicht weg von hier. Und für meine guten Freunde bin ich immer zu erreichen. Tag und Nacht.“ Das war deutlich, wenn man es verstehen wollte.
Nelly Fischer schaute ihn mit ihren großen blauen Augen an. Das Augenmakeup war leicht verschmiert, was aber auch seinen Reiz hatte. So sah eine Frau aus, mit der man gerade ein unkonventionelles Zusammentreffen gehabt hatte.
„Ich werde nach Irland zu meiner Schwester ziehen, Leo. Bin schon so gut wie weg. Sie haben mir gekündigt, diese scheinheiligen Banditen.“ Wortlos nahm sie den Ramazzotti entgegen und kippte ihn hinunter.
Leonardo nahm das fast unsichtbare sich Schütteln wahr; sie hatte schon lange genug. Die anderen Frauen waren bereits vor geraumer Zeit aufgebrochen. Sorglos hatten sie Nelly Fischer vornüber gebeugt an einem der Tische zurückgelassen. Mit einem feuchten Lappen hatte er sie in die Welt zurückgeholt und sie dann mit nach vorne an die Theke genommen, wo sie immerhin ohne fremde Hilfe auf einen der Barhocker gestiegen war.

„Unterbrich mich, wenn ich mich irre, aber bist du nicht die Chefin von der ganzen Weihnachtsfeiergesellschaft, Nelly?“
„Ich war.“ Sie stellte das leere Glas vor ihn hin. „Acht Jahre lang habe ich den katholischen Kindergarten geleitet. Doch dann habe ich mich von meinem Mann getrennt und bin von zu Hause ausgezogen. Wegen eines Neuen. Das war der Anfang vom Ende.“
Das will ich gar nicht hören, dachte Leonardo, lächelte aber teilnahmsvoll und nickte auffordernd, um sie zum Weitersprechen zu animieren.
„Michael. Aus Ghana.“
Ein Schwarzer wahrscheinlich, da kann ich eh nicht mithalten. Leonardo füllte ihr Glas auf und nahm sich selbst einen Schluck aus seinem Cognacschwenker.
„Salute, meine Schöne“, sagte er galant.
„Ehebruch haben sie mir vorgeworfen, ein Verstoß gegen die Loyalität meinem Arbeitgeber gegenüber, pah!“ Es klang wie Lojjatet und sie unterdrückte einen Rülpser.
Leonardo setzte ein entrüstetes Gesicht auf: „Sono spi- acente. Che faccia tosta! – Was für eine Frechheit“, zeterte er. „So etwas in der heutigen Zeit! Verstößt das nicht gegen das Grundrecht auf Schutz des Privatlebens?“
Nelly Fischer machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Wir sind über eine Million Menschen, die in sozialen Einrichtungen arbeiten. Besonderes Arbeitsrecht, Leo. In den meisten Fällen ist man da machtlos.“ Sie schniefte. Es strengte sie an, so deutlich zu sprechen, wie es sich nur ein Betrunkener vornahm.
„Kein Job mehr, kein Michael mehr. Er ist zurück in sein afrikanisches Kuhdorf. Na, ich bin vielleicht ein Glückspilz!“

Jetzt ergriff er doch eine ihrer Hände. Sie hatte schlanke, gepflegte Hände. Ihr Kopf fiel nicht nach vorne über, als ihm eine seiner Stützen genommen wurde. Wie einen kleinen Vogel, den man gerade auf dem Boden unterhalb seines Nestes gefunden hatte, hielt Leonardo diese weiche warme Frauenhand in den seinen und betrachtete seine Beute mit verzücktem Blick.
„Ich kann es nicht ertragen, wenn eine schöne Frau so unglücklich ist“, sagte er. Tiefes Mitgefühl lag in seiner Stimme. „Wie kann ich dir nur helfen, kleine Nelly?“

Er schaute an Nelly vorbei auf die Uhr an der Wand. Kurz vor 16 Uhr. In vier Stunden musste er im Süden Frankfurts sein, in voller Nikolausmontur, er hatte es versprochen. Es war der Auftritt in der Villa eines bekannten Juweliers, der jeden Mittag seinen Lunch bei ihm einnahm, außer dienstags. Montags kam er mit seinem Porsche, mittwochs mit seinem Ferrari und donnerstags fuhr er schon mal den Beetle seiner Frau, wenn die für größere Einkäufe den Landrover benötigte.
Er gehörte zu den Leuten, die ihre Freizeit wirklich ernst nahmen und die es nicht gewohnt waren, dass man ihnen eine Bitte abschlug. Für heute, dem Tag seines 38. Geburtstags, wünschte er sich nichts sehnlicher, als dass der Nikolaus in seiner Residenz am Lerchesberg erschien und jedem seiner Geburtstagsgäste ein kleines Erinnerungsgeschenk an den heutigen Tag überreichen würde. Was sagte man nicht alles zu, wenn einem das Wohl seines Geschäftes am Herzen lag.

„Tanz mit mir, Leonardo“, flüsterte Nelly.
„Cosa?“ Er war verwirrt. Sie wollte jetzt tanzen, hier, in einem Lokal, halbbesoffen zwischen den leeren Tischen?
Nelly nickte. „Das ist unverfänglich, glaube mir. Nur ein bisschen bewegen. Langsame Musik. – Ich will doch nur einen Moment gehalten werden.“
Sie lächelte ungeschickt. „Wir bräuchten auch gar nicht zu tanzen. Lass die Musik aus, wenn du willst, und stell dich einfach mit mir zusam
men hier in den Raum.“
Weiber haben echt alle ‘nen Schuss, dachte Leonardo.
„Was immer dich glücklich macht, Principessa“, antwortete er charmant und schob die CD von Eros Ramazzotti ein, doch nicht ohne vorher die Restauranttür zu verschließen.

***

Nelly Fischer klammerte sich so fest an seinen Körper, dass ihm fast schwindelig wurde. Diese kleine zierliche Frau, die von Venus persönlich mit einem prachtvollen Busen ausgestattet worden war, hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen, als wenn sie ihn nie wieder loslassen wollte. Er träumte das doch alles hoffentlich nicht nur!
Leonardo war spitz wie ein Radieschen – ach, was sage ich, spitz wie ein Rettich, der endlich in das bereitstehende Salatdressing eintauchen wollte! Er vermied es, ihren Hüften zu nahe zu kommen, nicht, dass sie seine Erregung spürte. Das Geheimnis des Erfolgs lag darin, den richtigen Zeitpunkt abzupassen.
Eros sang von ewiger Liebe, während ihr Busen sich gegen sein weißes Hemd presste. Er sah es nicht, konnte sich aber vorstellen, wie diese weißen, fleischigen Alabasterkugeln rhythmisch nach oben aus dem Ausschnitt ihrer Bluse gehoben wurden.

„Ich wollte schon immer mal meine Wange an deine Schulter legen“, sagte sie. Eigentlich lallte sie es, aber man konnte gerade noch darüber hinweghören.
Er hauchte Eros` italienische Liebesbekundungen in ihr Haar, flüsterte sie in ihr Ohr, un altra te, dove la trovo io, berührte sie dabei ganz sacht mit den Lippen und wünschte sich, dass er diesen blöden Nikolaustermin nie angenommen hätte.
Im Stehen trank sie weitere vier Ramazzotti, weil das jetzt gerade so gut zu dem Sänger passte, wie sie ihm versicherte. Leonardo verstand. Wenn er wollte, war er der Welt bester Frauenversteher.

Im Erdgeschoss unterhalb seines Lokals befand sich ein kleiner Raum. Er war nicht größer als eine Abstellkammer, aber immerhin geräumig genug, um ein Bett und eine Duschkabine darin aufzustellen. Schon manche Nacht hatte er da unten verbracht, wenn es spät geworden war und er nicht mehr nach Hause fahren wollte. Auch für zwei Personen war das Bett groß genug, er hatte es oft genug getestet. Ein Schäferstündchen mit dieser Frau, oh, Heilige Mutter Maria, was für eine Vorstellung! Bei dem Gedanken, Nelly aus ihrer schwarzen Bundfaltenhose zu schälen, wurde ihm ganz heiß in der Lendengegend. Mit der Bluse konnte er eigentlich schon hier oben beginnen …
Er nestelte zwischen ihren beiden Körpern an Nellys Knopfleiste herum. Schon konnte er den teuren Spitzen-BH an seinen Fingerkuppen spüren. Ein triumphartiges Gefühl bemächtigte sich seiner. Nellys Hände waren mittlerweile seinen Rücken heruntergewandert und umfassten sein Gesäß.
„Du bist so ein smarter, attraktiver Mann, Leonardo! Ich habe deine kernigen Gesichtszüge“ – dabei krallte sie sich in seine Pobacken – „schon immer bewundert.“
Ihre nächsten Worte hätten ihn ernüchtert, wenn er vorher betrunken gewesen wäre: „Leo, oh weh, Leo, mir ist übel. Ich glaube, ich muss mich übergeben!“

Nicht nur Leonardos Ruhe-, und Liebesstätte lag ein Stockwerk tiefer, sondern auch die Toiletten.
Nelly war federleicht, er hätte sie ohne große Schwierigkeiten hochheben und tragen können, aber er glaubte, dass der Inhalt ihres Magens weniger rebellierte, wenn sie auf ihren eigenen Füßen stand. Somit schlang er seinen Arm um ihre zarte Taille und führte sie langsam und vorsichtig, Schritt für Schritt durch das Treppenhaus, die Stufen hinab.
Dann sind wir wenigstens schon mal nebenan, versuchte Leonardo mit sich selbst zu scherzen, um sein Hochgefühl aufrechtzuerhalten. Nelly würde nicht die erste Frau sein, die er flachlegte, und die sich vorher ihres Mageninhalts entledigt hatte. Ihn, Leonardo Alfonso Santalucia, würde so ein kleiner Zwischenfall nicht aus dem Konzept bringen!

Nellys Schritte wurden schneller, je näher sie den Toiletten kamen. Der Einfachheit halber stürzten sie beide geradewegs auf die Herrentoiletten zu, sie lagen näher an der Treppe. Genauso kräftig, wie Nelly eben noch seinen Hintern gehalten hatte, presste sie nun die Hände auf ihren Mund.
„Gleich, Piccolina, nur noch ein paar Schritte“, versprach er. Vor Anstrengung, die taumelnde Frau aufrecht die Treppe hinunterzubugsieren, lief ihm der blanke Schweiß den Rücken herunter.
Nelly bäumte sich auf und gab klägliche Würgelaute von sich. Sie hielt sich tapfer, denn sie versuchte mit aller Gewalt, ihren Mageninhalt nicht aus ihrem Mund zu lassen, bevor sie sich vor der Toilettenschüssel befanden.

Leonardo stand helfend und stützend hinter ihr. Mit einer Hand hielt er ihr wundervolles kastanienbraunes Haar zusammen, damit es ihr nicht ins Gesicht fiel. Sein anderer Arm lag um ihre Taille, als wolle er sie davor beschützen, nicht in die Toilette hineinzufallen und durch den Abfluss zu rutschen. Warum er diese Stellung einnahm, konnte er sich später nicht mehr erklären. Auch nicht, warum Nelly sich nicht sofort niederkniete, sondern wie der Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckte, dastand und sich mit einer Hand an den grünen Wandfliesen abstützte.

Die Steinplatten unter ihren Füßen glänzten tückisch: Bastian, der Kindergartenpraktikant, hatte ausgiebig neben die Schüssel uriniert. Der Boden war glitschig nass. Leonardo hatte keine Zeit, sich darüber zu ärgern, denn Nellys hohe Schuhe verloren den Halt, noch bevor die Caponata und Involtini alla Siziliana vollständig den Weg nach Draußen gefunden hatten. Sie knickte ein wie eine Salzstange, die man zwischen Zeigefinger und Daumen zerbrach, und Leonardo, der irgendwie hinten dranhing, fiel vornüber auf sie drauf.
Das Geräusch, als der zierliche Körper unter ihm auf das Porzellan aufschlug, war grauenhaft. Seinen eigenen Schmerz, sein kleiner Finger hatte sich im Eifer des Gefechts zwischen Toilettenschüssel und Brille verkantet, spürte er in diesem Augenblick nicht.

„Leo, ich …, Leo ich…“ würgte Nelly.
„Cara mia, warte, warte …“ Leonardo mühte sich auf die Beine.
Er blickte in den Lockenkopf vor sich und nahm aus dem Augenwinkel das Wedeln ihrer Hand wahr. Eine flehende, hilflose Geste.
„Leo, Leo, bitte …“
Er beugte sich nach vorn und griff wie ein Sumoringer von hinten durch Nellys Achselhöhlen, um sie aufzurichten. Doch Nelly hing wie ein Sack Zement vor ihm und machte keine Anstalten, ihm bei der Befreiung aus ihrer misslichen Lage mitzuhelfen.
Ein hohles, langgezogenes Ringen nach Atem. Immer und immer wieder. Es ließ Nellys Würgegeräusche in den Hintergrund treten. Und plötzlich würgte, flehte und stöhnte Nelly nicht mehr.

„Porco dio“, fluchte Leonardo, der sich beim Aufprall seines Kinns auf Nellys Hinterkopf schmerzhaft in die Zunge gebissen hatte. Sein kleiner Finger hatte den Sumogriff vermutlich nicht überlebt. Er klebte wie eine zermatschte Schnecke zwischen Nelly und der Toilettenbrille. Er wollte gar nicht wissen, wie er zugerichtet war. Vorsichtig zog Leonardo beide Hände unter dem Frauenkörper weg, als der Gestank eines kraftvollen Furzes die Kabine erfüllte. Wenn ihn bis jetzt noch nichts hatte abtörnen können, nun war es soweit.

„Nelly!“, tadelte er die Frau unter sich. Er drückte sein schmerzendes Kreuz durch, stemmte die Hände in die Hüften und blickte zurechtweisend unter seinem verschwitzten Haupthaar hervor.

Doch Nelly reagierte nicht auf die Zurechtweisung. Nelly war tot.

 

Was um alles in der Welt macht ein heißblütiger Italiener mit einer Frauenleiche, wenn er den guten Ruf seines Restaurants unter keinen Umständen aufs Spiel setzen möchte und er dazu als waschechter Sizilianer selbstverständlich nichts mit der Polizei zu tun haben will? Nelly muss verschwinden, das ist klar. Doch wenn die Umstände schwierig und die Leiche sich als ziemlich widerspenstig herausstellt, ist das gar nicht so einfach …

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